Renaissance
Cut-up.
Burke Only Mix. Gemischt und übersetzt von Daniel Kulla. Peter Burke ist Professor für Kulturgeschichte an der Universität von Cambridge. Im folgenden Text werden nur Passagen aus seinem kurzen Buch über die "Renaissance" (aus der Reihe: Studies in European History, Palgrave Macmillan, 1987) verwendet, allerdings von mir neu angeordnet und mit Zwischenüberschriften versehen. Dadurch ergeben sich andere Abläufe und Zusammenhänge. Die Renaissance rückt näher an die Antike heran, zeigt sich im Spannungsfeld zwischen Bewahrung und Assimilation. Vor dem Hintergrund moderner Umdeutungen von Geschichte (das mir am nächsten liegende Beispiel: die Verzerrung der DDR im westlichen Rückblick) werden Strategien der Traditionserfindung (Ostalgie) im Italien der frühen Neuzeit plausibel. Die Frage der Geschichtsschreibung ...die Idee der Wiedergeburt wird deutlich im Gospel of St John: 'So ein Mann nicht wiedergeboren wird vom Wasser und vom Heiligen Geist, kann er nicht in Gottes Königreich eingehen.' Wenn die Überreste der Antike für so lange Zeit Bestandteil der italienischen Landschaft gewesen waren..., warum wurden sie dann erst von Petrarchs Zeiten an ernstgenommen? Die zweite Bedeutung des Begriffes "Mythos" ist eine eher literarische. Ein Mythos ist eine symbolische Geschichte, in der von Figuren berichtet wird, die überlebensgroß (oder in klarerem Schwarz-Weiß) daherkommen; eine Geschichte mit einer Moral, und im besonderen eine Geschichte über die Vergangenheit, erzählt, um eine gegenwärtige Situation zu erklären oder zu rechtfertigen. Burckhardts Renaissance ist ein solcher Mythos. Die Figuren seiner Geschichte, seien es Helden wie Alberti und Michelangelo oder Schurken wie die Borgias, sind alle überlebensgroß. Die Geschichte selbst rechtfertigt die moderne Welt und erklärt sie gleichwohl. Es handelt sich um eine symbolische Geschichte in dem Sinne, daß sie kulturelle Veränderung mit Metaphern von Erweckung und Wiedergeburt beschreibt. Diese Metaphern funktionieren nicht nur als Dekoration. Sie sind für Burckhardts Interpretation unverzichtbar. Obwohl Machiavelli der Republik von Florenz diente und seine Diskurse über die frühe Römische Geschichte zur Unterweisung seiner Mitbürger verfaßt hatte,... Burckhardts Fehler bestand darin, daß er die Gelehrten und Künstler jener Zeit in ihrer eigenen Bewertung beließ; daß er diese Geschichte der Wiedergeburt dem Augenschein nach annahm und sie zu einem Buch ausmalte. Er fügte zur alten Formel von der Restauration oder Erneuerung der Künste und der Wiederbelebung der klassischen Antike neue Motive wie den Individualismus, den Realismus und die Modernität hinzu. Das Sprichwort 'Bevor du die Geschichte studierst, studiere den Historiker' ist in Burckhardts Fall ein hilfreicher Rat. Der Begriff der Renaissance sollte im Plural benutzt werden. Es gab verschiedene 'Wiedergeburten' im Verlaufe des Mittelalters... Sowohl Geschichte als auch Poesie wurden als Arten der angewandten Sittenlehre verstanden, mit denen Schülern beigebracht wurde, guten Beispielen zu folgen und schlechte zu meiden. Jedes Zeitalter neigt dazu, die Vergangenheit ihrer eigenen Vorstellung entsprechend zu sehen, und wir sollten nicht glauben, daß unsere eigene Zeit eine Ausnahme bildet. Chronologie ist schon eher ein Problem. Der Einfall des Imperiums um 1400 Die unabhängigen Stadtstaaten und ihre Handelspatriziate wurden - abgesehen von Venedig und Genua - von Höfen und Aristokratien abgelöst. Politische Schriftsteller wie Giovanni Botero, dessen Staatsräson von 1589 einiges dazu beitrug, diesen Begriff gebräuchlich zu machen, kommentierten weiter die Römische Geschichte, wandten sich aber lieber Tacitus' Schriften über das späte Reich zu als denen Livys über die frühe Republik. Antonio de Guevaras Werk Der Ring der Fürsten... ist ein berühmtes Beispiel für den Neostoizismus der Renaissance-Zeit. Die im Grunde passive Tugend der Beständigkeit paßt mehr zu den Untertanen eines Monarchen als zu den politisch aktiven Bürgern einer Republik. 'Neoplatonismus', wie der Kult um Plato gemeinhin genannt wird, wurde in Europas höfischen Kreisen des 16. Jahrhunderts - von Paris bis Prag - zur Mode, vielleicht, weil die Betonung des kontemplativen statt des aktiven Lebens den Untertanen von Monarchien besser paßte. In einigen Schulen und an manchen italienischen Universitäten, namentlich in Florenz (ab 1396) und Padua (ab 1463), gab es außerdem die Möglichkeit, Altgriechisch zu studieren. Die ersten Professoren waren Flüchtlinge aus dem Byzantischen Imperium, das stückchenweise bis zur Eroberung Konstantinopels 1453 an die Türken fiel. Die geraubte Vergangenheit Einerseits waren sie sich wesentlich mehr als ihre mittelalterlichen Vorgänger des Abstands der klassischen Vergangenheit von der Gegenwart bewußt, mehr als diese mit der von ihnen angenommenen Zersetzung der Sprache und dem Verfall der Künste seit dem Einfall der Barbaren in Italien befaßt. Andererseits fühlten sie sich den Römern persönlich nahe. Petrarch schrieb Briefe an Cicero und Machiavelli sagte von sich, daß er mit den antiken Gelehrten unterhalten würde. In Wirklichkeit waren Petrarch, Bruneschelli, Alberti, Valla, Mantegna, Ficino und andere Gelehrte, Schriftsteller und Künstler des 14. und 15. Jahrhunderts in vielerlei Hinsicht weit entfernt von dem, was ihnen so nahe vorkam - dem antiken Rom - und dem nahe, das sie für fern hielten, dem 'Mittelalter'. Auch wenn sie die jüngere Vergangenheit mit der von ihnen so bezeichneten 'gothischen' Kunst, der 'scholastischen' Philosophie und dem 'barbarischen' Latein ablehnten, waren sie doch in dieser spätmittelalterlichen Kultur aufgewachsen und gehörten auf vielfältige Weise in sie hinein. Da sie die gothische Schrift gelernt hatten, fanden sie es schwer, die alten Römischen Inschriften zu entziffern. Latein und Christentum dringen ein 'Nicht nur, daß jahrhundertelang niemand korrektes Latein gesprochen hat', schrieb der Gelehrte Lorenzo Valla um 1440, 'es hat auch niemand richtig verstanden, wenn er es las.' Paradoxerweise war es eine tote Sprache, klassisches Latein, die zur Sprache der Innovation wurde. Es gab ein Zeitloch von mehr als einem Jahrhundert zwischen den ersten Renaissance-Komödien auf lateinisch und ihren Äquivalenten auf italienisch... Einer der Vorreiter der neuen Bildungsweise war Vittorino da Feltre, der von 1423 bis 1446 ein kleines Internat in Mantua leitete. Das neue System beinhaltete die Ausbilung im Sprechen, Schreiben und auch im Lesen von klassischem Latein... Ariostos berühmtestes Werk ist das Erzählgedicht Orlando Furioso von 1516. Das Gedicht ist keine gewöhnliche Ritterromanze; es behandelt das mittelalterliche Material dafür zu ironisch. Aber es ist ebensowenig eine Imitation eines klassischen Epos. Es konnte nur von jemandem geschrieben werden, der sozusagen in beide Traditionen gehörte und damit in keine. Ironische Distanz ist nur jemandem möglich, der mit je einen Bein in beiden Welten steht. Ebenso beschäftigt sich Castigliones wohlbekannter Courtier von 1528 trotz seiner Referenzen an antike Vorläufer, namentlich an Ciceros Abhandlung über den perfekten Redner, doch mit den Regeln für eine im klassischen Athen oder republikanischen Rom unbekannten gesellschaftlichen Rolle. Wie Ariostos Gedicht konnte es nur von jemandem mit intimen Kenntnissen beider Traditionen, der antiken wie der mittelalterlichen, verfaßt werden. Viele Werke der Renaissance sind als kulturelle Zwitter bezeichnet worden, klassisch in bestimmter Hinsicht, christlich in anderer. Diese Kombination des Klassischen und des Christlichen ist schwer zu deuten, wie es mit kulturellen Verschmelzungen oft der Fall ist. 400 Jahre später ist immer noch nicht leicht zu entscheiden, ob Ficino platonische Philosophie als Theologie verkleidete oder Theologie als platonische Philosophie. Die Historiker des 19. Jahrhunderts, Burckhardt eingeschlossen, neigten dazu, die italienischen Humanisten im wesentlichen als Heiden darzustellen, die nicht mehr als Lippenbekenntnisse zum Christentum ablegten. Heute gehen die Gelehrten andererseits davon aus, daß es das Heidentum war, dem die Lippenbekenntnisse galten. Die Kirchenväter Augustin und Jerome gehörten zwei Kulturen an, der traditionellen Klassik und der neuen christlichen Kultur, und sie versuchten, mit mehr oder weniger Schwierigkeiten, die beiden zu harmonisieren, Athen mit Jerusalem zu versöhnen. In Jeromes Fall war der innere Konflikt so akut, daß er sich in dramatischer Form in seinem Traum darstellte, in dem er vor das Gericht Christi gezogen wird und dafür verdammt wird, ein 'Ciceronier und kein Christ' zu sein. 'Was anderes ist Plato', schrieb Eusebius im 4. Jahrhundert, 'als Moses, der attisches Griechisch spricht?' Einige Gelehrte, wie der im 15. Jahrhundert aus Griechenland geflohene Gemsitos Pletho, mögen das Christentum zugunsten der Anbetung heidnischer Götter aufgegeben haben; die meisten Humanisten wollten jedoch Römer der Antike sein, ohne dafür aufhören zu müssen, moderne Christen zu sein. Im Falle Michelangelos helfen uns seine Gedichte dabei, seine Gemälde und Statuen zu deuten und in ihnen das unzweifelhafte Streben zu erkennen, klassische Formen mit christlichen Bedeutungen zu kombinieren. Versuche zur Rettung der Tradition Bei zweien der berühmtesten Bücher aus dem Italien des 16. Jahrhunderts, dem Schmeichler und dem Fürsten, stellte sich heraus, daß sie dem Mittelalter näher sind, als es zunächst erschien. Petrarch nahm freudigen Anteil an der versuchten Restauration der Römischen Republik, die - innerhalb der Stadtmauern - von 1347 bis 1354 dauerte. Um die Bedeutung der Wiederbelebung klassischer Formen, sagen wir, in der Architektur oder im Drama oder den Enthusiasmus für die Entdeckung und Bearbeitung antiker Manuskripte zu verstehen, müssen wir sie als Teile eines wesentlich ehrgeizigeren Unternehmens betrachten. Es ging um nichts weniger als die Wiederherstellung des Lebens des antiken Rom. Was konnte das bedeuten? Es ist nicht immer leicht zu entscheiden, ob die Humanisten wörtlich oder metaphorisch zu lesen sind, genauer, wieviel von der Vergangenheit sie zurückzubringen suchten. Die Grundidee der Wiederbelebung war jedoch weit mehr als eine Redewendung. Wie die Menschen der Antike glaubten viele Humanisten an eine zyklische Deutung der Geschichte, nach der ein Zeitalter eine Wiederkehr oder Wiederholung einer früheren sein konnte. Einige von ihnen dachten, daß sie und ihre Mitbürger 'neue Römer' werden könnten, in dem Sinne, daß sie wie Römer sprechen, wie sie schreiben, wie sie denken könnten und daß sie ihren Errungenschaften - angefangen beim Kolosseum über die Aeneid bis zum Römischen Reich - nacheifern könnten. Diese Idee einer Rückkehr in die Vergangenheit mag ein Mythos gewesen sein. Gleichsam ein Mythos, den einige Menschen nicht nur glaubten, sondern lebten. Im übertragenen Sinn entdeckten die Humanisten ihre Vorfahren, während einige Adelsfamilien wirkliche Nachfolge antiker Römer beanspruchten (die Cornaros aus Venedig beispielsweise die von Scipios Familie, den Cornelii). Wiedergeburt: Erfindung einer Tradition Klassische Texte wurden neu interpretiert. Römisches Recht war an italienischen Universitäten, namentlich Bologna, seit dem 11. Jahrhundert studiert worden, doch die Humanisten waren die ersten, die diese Gesetze interpretierten, indem sie sie in den Kontext von Kultur und Gesellschaft des antiken Rom stellten, welches ihnen durch das Studium von klassischer Literatur und Inschriften vertrauter geworden war. Zum Beispiel erlaubte seine Kenntnis der Römischen Geschichte und besonders der Geschichte der lateinischen Sprache dem Humanisten Lorenzo Valla zu zeigen, daß die sogenannte 'Konstantinische Schenkung', eine Urkunde, in der der Kaiser Mittelitalien dem Papst und seinen Nachfolgern zusicherte, nichts mit Konstantin zu tun hatte, sondern erst einige Jahrhunderte später geschrieben worden war. Valla zufolge war der Stil der Urkunde so barbarisch, daß es späteren Datums sein mußte als angegeben. In der Renaissance-Zeit neigten Schriftsteller und Künstler trotz der aufkommenden Strafen für Plagiate dazu, unter den genau umgekehrten Ängsten zu leiden. Obwohl wir diese Periode gern als eine Zeit der Innovation und Originalität sehen, legten die Literaten und Künstler selbst den Schwerpunkt auf ihre Imitationen der besten antiken Vorbilder; des Pantheons, der Laocoön, von Cicero, Virgil, Livy und so weiter. Diese Imitation war nicht sklavisch. Um eine zeitgenössische Metapher zu benutzen, äffte man die antiken Vorbilder nicht nach. Es wurde allgemein davon ausgegangen, daß die 'Modernen' keine Hoffnung hatten, es den Errungenschaften der Antike gleichtun zu können, ganz zu schweigen davon, sie gar zu übertreffen; aber diese Annahme war gleichzeitig eine Herausforderung, die manche annahmen. Michelangelo schaffte es, einige seiner Statuen als unverwechselbar antik auszugeben. Alberti schrieb eine lateinische Komödie, die für ein klassisches Werk gehalten wurde. Carlo Sigonio, ein Humanist des 16. Jahrhunderts, 'entdeckte' ein verlorenes Werk Ciceros, von dem sich herausstellte, daß es seine eigene Schöpfung war. Als beispielsweise der Humanist Poggio die Handschrift ersann, die wir heute 'Italic' oder Kursivschrift nennen, dachte er, er würde klasssischen Vorbildern folgen, obwohl diese Vorbilder dem frühen, vor-gothischen Mittelalter entstammten. In ähnlicher Weise benutzte Bruneschelli die Taufkapelle von Florenz als Modell für seine Reformen in der Architektur in der Annahme, daß es sich um einen klassischen Tempel handelte. Dabei stellte sie sich als Beispiel der toskanischen Romanik heraus... Die Entstehung des Italienischen und Italiens um 1500 Leonardo Brunis lateinische Geschichte des Florentiner Volkes geht auf das frühe 15. Jahrhundert zurück, während das erste italienische Werk in dieser Sparte, Francesco Guicciardinis Geschichte Italiens, über 100 Jahre später geschrieben wurde. Die Tatsache, daß die umgangssprachliche Literatur weniger ernst genommen wurde als Latein - zumindest vor 1500 - muß betont werden. Die herrschenden Gruppen dieser Städte fingen an, sich selbst als 'Konsuln' und 'Patrizier' zu sehen; ihre Stadträte als Gegenstück zum 'Senat'; die Städte ihrerseits als so viele neue Roms. In Florenz und in anderen Republiken, namentlich Venedig und Genua (die sich beide diese Regierungsform bis ins späte 18. Jahrhundert erhielten), fiel es der herrschenden Klasse und den mit ihr verbundenen Humanisten nicht schwer, sich mit den Männern zu identifizieren, die die antiken Republiken von Athen und Rom regiert hatten, besonders mit Cicero, der die Rollen des Politikers, des Redners und des Philosophen miteinander verbunden hatte. Mit leichter der Klarheit geschuldeter Übertreibung kann gesagt werden, daß eine Bewegung, die einst als subversiv galt (mindestens einigen scholastischen Philosophen), um 1500 zu einem Teil des Establishments geworden war. Außerhalb Italiens war im Jahre 1500 die Wiederbelebung der Antike noch eine Neuheit. Die Bewegung hatte noch nicht ihre Kraft verloren zu schockieren. Dem, was außerhalb Italiens geschah, müssen wir nun unsere Aufmerksamkeit zuwenden.. Flucht aus Italien In jedem Fall war Italien nicht die einzige Stätte kultureller Innovation. Nicht in der Toskana, sondern am päpstlichen Hof, der sich zu dieser Zeit in Avignon eingerichtet hatte, hatte Petrarch einige seiner wichtigsten Erlebnisse... Diese Darstellung der 'Rezeption' der Renaissance außerhalb Italiens wird sich bemühen, die 'Rezeptionslehre' in Anwendung zu bringen, den Versuch einiger Literaturstudenten, die einfache Idee des 'Einflusses' durch das vielschichtigere Konzept von einem Vorgang schöpferischen Mißverständnisses. Italienische Humanisten und Künstler scheinen in zwei separaten Wellen ins Ausland abgewandert zu sein. Die Humanisten gingen als erste. Auch wenn Petrarch den Niederlanden und Paris schon im 14. Jahrhundert Besuche abstattete, fand der eigentliche brain drain der Humanisten zwischen 1430 und 1520 statt, mit dem späten 15. Jahrhundert als der Zeit, in der die intellektuelle Emigration auf ihrem Höhepunkt war. Warum gingen sie ins Ausland? Aus heutiger Sicht erscheint die Entscheidung zu reisen oder gar im Ausland zu arbeiten eher unproblematisch, aber in jener Zeit machten die Schwierigkeiten und Gefahren des Reisens ebenso wie der Schmerz des Exils die Entscheidung sehr schwer. Einige Künstler und Humanisten verließen Italien aus Gründen, die sehr wenig mit der Renaissance zu tun hatten. Einige gingen auf diplomatische Missionen... Andere waren im politischen Exil. Filippo 'Callimaco' zum Beispiel (der seinen Spitznamen von einem gelehrten Dichter des antiken Griechenland hatte), ein Mann, der einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung des Humanismus in Polen leistete, mußte Italien überstürzt verlassen, als die Verschwörung, der er angehörte, aufflog. Die Gastgeber der Emigranten konnten selbst Italiener sein, die im Ausland in Händlerkolonien wie denen in Brügge oder Lyon lebten. Ein anderes Zeichen für das heimische Interesse an der Renaissance in vielen Teilen Europas ist der Verkehr in die Gegenrichtung. Wie im Mittelalter strömten Diplomaten, Kleriker, Söldner, Händler und Pilger nach Italien. Latinisierte Sprachen in ganz Europa Das Italien, das die Nicht-Italiener imitierten, war in einen Grade ihre eigene Erfindung, geformt von ihren eigenen Bedürfnissen und Wünschen, so wie die Antike, die sowohl sie als auch die Italiener zu imitieren suchten, teilweise ihr Werk war. Aus verschiedenen Gründen begegnen wir nicht dem simplen Export italienischer Modelle ins Ausland, sondern ihren Nachbauten und der Entwicklung von Zwitterformen, die als Mißverständnisse (aus Sicht des Senders) oder schöpferische Anverwandlungen (aus Sicht des Empfängers) beschrieben werden können. Diese bösen Reaktionen auf Machiavelli, Castiglione und andere Literaten waren nicht nur anti-italienisch. Sie waren auch anti-katholisch, oder in der Sprache jener Zeit, anti-papistisch. Noch ein Hindernis für das sanfte Aufgehen der italienischen Renaissance im Ausland war die Reformation. Aufkommen des Protestantismus 1508 wurde ein dreisprachiges College im spanischen Alcalá gegründet, um die Sprachen der Bibel zu studieren: Hebräisch, Griechisch und Latein. Es gibt oder gab die verbreitete Anschauung, daß der Hauptunterschied zwischen der Renaissance nördlich der Alpen und der Bewegung in Italien im Aufstieg des 'christlichen Humanismus', assoziiert vor allem mit Erasmus von Rotterdam, begründet sei. Diese Anschauung gründet sich auf die Annahme..., daß Italien voller heidnischer Humanisten war, denen die frommen Nordländer gegenübergestellt wurden. Erasmus verbrachte die meiste Zeit mit der Auseinandersetzung mit der Bibel und ihrer Übersetzung. Das Hauptthema seines Dialoges Ciceronianus von 1528 besteht darin, daß Cicero nicht imitiert werden sollte, da er ein Heide gewesen sei. Luther hatte eine klassische Ausbildung genossen und stand der gelehrsamen Wiederbelebung antiker Bildung positiv gegenüber, die seiner Auffassung nach von Gott ermuntert worden war als Vorbereitung auf die Umgestaltung der Kirche. Die Kombination von Alten und Neuem ist besonders auffällig in den 'Accession Day Tilts' unter der Herrschaft von Queen Elizabeth, in denen Ritter, darunter Sidney, ihre Ausstattung mit Geräten der Renaissance dekorierten, aber in spätmittelalterlichem Stil kämpften... Schlüsse Da die klassische Welt auch zentralisiert worden war und viele der 'neuen' Probleme, die zwischen dem 11. und 18. Jahrhundert auftraten, schon einmal 'antike' Probleme gewesen waren. Eine Debatte über Zivilisation oder Höflichkeit hatte es beispielsweise schon im Rom Ciceros gegeben - in den Begriffen von urbanitas oder 'Verstädterung'. Einige gehen so weit, von einer 'rhetorischen Revolution' oder sogar von einer 'Sprachrevolution' im späten Mittelalter zu sprechen, und weisen darauf hin, daß die Philosophen sich darüber bewußt wurden, daß das Verhältnis von Sprache und Wirklichkeit problematisch war. Andere, unter ihnen der Autor, versuchen das, was im Florenz des 14. Jahrhunderts, dem Italien des 15. und dem Europa des 16. Jahrhunderts geschah in einer Sequenz von miteinander verbundenen Veränderungen zwischen etwa 1000 und 1800 neu zu verorten. Diese langfristigen Veränderungen können als 'Verwestlichung des Westens' beschrieben werden - in dem Sinne, daß sie die Europäer der oberen Gesellschaftsklassen von anderen Völkern zunehmend verschieden machten... |