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Daniel
Kulla
Der Phrasenprüfer
Szenen aus dem Leben von Wau Holland, Mitbegründer des Chaos Computer
Club
Jetzt zu Waus 52. Geburtstag am 20.12.2003 erschienen: bei Werner Pieper & The
Grüne Kraft
aufm 20C3 (pic by dabo.de)
datenschleuder-Artikel
über das
Wau-Buch
Leseprobe
Erster Aufzug: Chaos
HAMBURG 1987
Es hatte sich erst dreißig Jahre lang angebahnt, doch dann war es sehr
schnell gegangen.
Das CHAOS hatte sich manifestiert, der Apfel der Zwietracht war gerollt
worden - und das durch die bundesdeutsche Gesellschaft, diese piefige
Untertanenveranstaltung.
Der Apfel hatte schon Kriege ausgelöst, in dem er drei griechische
Schönheiten vor die Frage stellte, welche von ihnen die Schönste sei:
Kallisti. Der folgende Streit und der Krieg um Troja wurden zu
Literatur.
Das ist mit diesem Buch nicht anders, wenngleich es von einem viel
unblutigeren Streit handelt. Im Untertanenstaat widmete sich der Apfel
nicht „der Schönsten“, sondern er stellte die Frage, wem er sich
eigentlich widmen sollte. Die Deutschen, vor allem die jungen Deutschen
merkten, daß sie das nicht wußten und erst einmal unter den
schimmligen, braunen Tarndecken nachsehen müßten.
So entstand ein Problembewußtsein. Eine Art Sozialtherapie nahm ihren
Lauf, die Exhumierung des Verdrängten.
Der zentrale deutsche Fetisch, den es zu exhumieren galt, war die
Sicherheit, die Ursache für den faulen Frieden vorher, das Bedürfnis,
sich in Sicherheit zu wiegen.
Daher war die persönlichste Manifestation des CHAOS der gleichnamige
Computer Club, der mit beinahe missionarischem Eifer darauf bestand,
daß es keine Sicherheit gibt, daß sie nichts weiter als einen nette,
aber ebenso trügerische Illusion ist und der sich daran machte, Schritt
für Schritt zu beweisen, an wievielen Stellen diese Sicherheit
trügerisch war.
There are no guarantees: wir zeigen euch, was alles nicht stimmt und
wieviel Sicherheit euch nur vorgegaukelt wird.
Das rief den Schutzpatron der Sicherheit, die ORDNUNG, auf den Plan.
Sie nahm das CHAOS erst nur als Phantom in taz-Kolumnen wahr, das war
1981. Zwei Jahre später materialisierte es sich jedoch allmählich als
Computerstammtisch in Hamburger Kneipen - mit Sicherheit nur Bastler
mit Lausbubenstreichen. Die ORDNUNG unterschätzte die Anwesenheit eines
Propheten und eines Feuerwehrmanns; sicherheitshalber bastelte sie ein
paar Bomben und zeichnete ein Phantombild für die Öffentlichkeit:
struppige leichtsinnige Stubenhocker, die fern der Nestwärme deutscher
Familien irregeleitet auf dem Weg ins Verbrechen voranschreiten.
Von den Kinderzimmern aus wurde auf die Leichen im Reihenhauskeller
recht spektakulär aufmerksam gemacht, Probleme wurden verdeutlicht,
exemplarisch vorgeführt. Den ersten Coup, der es in die Zeitungen
schaffte, hatten die Hacker im technologischen Vorzeigeprojekt der
Deutschen Post gedreht. Das Btx-System, das „Volksdatennetz der
Zukunft“, mit dem die staatlichen Kommunikatoren die Verheißung auf
unbegrenzte und bunte Verschuldung jedes Fernseh- und Telefonbenutzers
verbanden, wurde dazu gebracht, eine auffällige Ausbeulung des
Kreditrahmens zu demonstrieren. Keine Schwerkriminellen ließen sich
hier 135000 DM gutschreiben, sondern unauffällige Jungs mit
Heimcomputern.
Das ging so: Jede Leitseite im Bildschirmtext verfügte nur über eine
bestimmte Menge an belegbaren Zeichen. Wurde ein Overflow produziert,
indem alle Zeichen belegt wurden, reagierte das System seltsam. Die
Chaoten brachten eine Seite zum Überlaufen und bekamen im Gegenzug
Zugang zum Account der Hamburger Sparkasse, von dem aus nun ein
Wochenende lang automatisiert die kostenpflichtige Spendenseite des CCC
zu 9,97 DM abgerufen wurde. Die auflaufende Summe ließen sich die
Hacker noch bestätigen, wiesen die Zahlung jedoch gleich zurück und
zeigten sich am Montag selbst an.
So einfach war das damals.
Ein Eingriff in die nicht mal freiwirtschaftliche, sondern hoheitliche
Dienstleistungsgesellschaft, nicht gegen IBM oder Microsoft, sondern
gegen die Deutsche Post, sozusagen gegen die Central Services aus Terry
Gilliams Film „Brazil“. Genau wie es dort dem autonomen
Heizungsingenieur Harry Tuttle ergeht, der ohne Genehmigung in
monopolisierte technische Anlagen eingreift, stand auch der Chaos
Computer Club von nun an unter dem „Verdacht der freischaffenden
Subversion“.
Für die vielen jungen Deutschen, die sich diesem Projekt der
Datenbefreiung verschrieben, hatte das therapeutische Wirkung. Sie
lernten die Kraft der Bewußtmachung kennen, lauter Deutsche, deren
Taten von Spaß durchdrungen wurden. Dagegenzuhalten sei das Bild von
Spaß in Deutschland vorher. Jetzt hatte man Spaß daran,
Sicherheitslücken aufzudecken oder die katholische Kirche als
Betriebssystem „Vatical“ zu bescheiben. Man machte Scherze, mitten in
Deutschland; der befreiende Witz, der hierzulande als unsittlich gilt,
fand ein Zuhause. Des groben Unfugs bezichtigt, beharrte er darauf,
„feinen Fug“ zu machen. Er hieß Wau. Wau Holland.
Und da saß er nun in den Clubräumen in der Schwenckestraße 85, inmitten
von taz-Stapeln, Kassetten und Ordnern, eigentlich Herwart
Holland-Moritz, im Begriff, schon lange prä mortem zu einer
diesseitigen Legende zu werden. Obwohl er das Gespräch um ihn herum
rein ideell zu dominieren vermochte, kam eine optische Prägnanz hinzu,
die Werner Pieper als “verwegen, ... gerade wie ein Piratenkäpt’n”
beschrieb. Ungeachtet des Zeitgeistes und der ihn umgegenden
unauffälligen Nerds, wehte mit Wau ein bißchen von den Sechzigern und
sehr viel von der untergründigen Hälfte der Siebziger herein, komplett
mit schwarzem Bart und Latzhose. Er war fünf Jahre älter als die
Ältesten der anderen, hatte schon vor Urzeiten Elektrotechnik,
Informatik und Politik studiert, in linken Buchläden gearbeitet und in
einer alternativen Softwarefirma programmiert, die sich dem Kommerz zu
verweigern versuchte.
Was nicht gelang.
Als die anderen in der Firma bereit waren, einen Auftrag der US-Army
anzunehmen, sah sich Wau gezwungen zu gehen und sich nach einem Umfeld
umzusehen, in dem er vor der Kommerzialisierung sicher wäre. Als er in
den frühen Achtzigern in der Berliner taz erst den Chaos Computer Club
und dann sein Zentralorgan, die „datenschleuder“, herbeischrieb, wurde
ihm klar, daß er sich seine Kreise schaffen mußte - und konnte. Seine
Ankündigungen wurden von begeiserten Lesern als real verstanden, die
nicht vorhandene Zeitung wollten Hunderte Vorbesteller lesen und einige
fanden den Weg zu den informellen Treffen im Hamburger „Schwarzmarkt“.
Es waren immer mehr geworden, nach dem Sparkassen-Hack war man auf dem
Weg zur Institution.
In eine Reihe gestellt mit anderen großen Geistern fällt auf, daß Waus
Ideenrahmen noch zu seinen aktiven Wirkungszeiten zu einer bekannten
Organisation wurde. Doch die Anwesenheit des Urhebers verhinderte
nicht, daß der Hackerverein schnell an seine Grenzen stieß.
Die Clubräume waren an diesem Abend gut besucht, wie meistens gab es
ein babylonisches Gewirr verschiedenster Themen in mehreren
Gesprächsrunden, obwohl sich das alles auf höchstens 40 Quadratmetern
abspielte. Die Runde um Wau verweilte gerade beim Snafu-Prinzip, das
allerdings genau wie die anderen Themen keine Chance hatte, nicht
alsbald von höchst wüsten Assoziationsketten wieder verdrängt zu
werden. Mit dem Akronym der beliebten US-Army-Diagnose „Situation
normal all fucked-up“ hatte Robert Anton Wilson einst beschrieben, wie
die Kommunikationsstrukturen in vertikalen Organisationen arbeiten. In
der Hackordnung wird von unten nach oben aus Angst positiv
ausgefiltert, also gelogen. Je weiter oben sich jemand in der
Prestigepyramide befindet, desto verzerrter wird sein Bild von der
Welt; wird ihm das klar, kann er es trotzdem kaum abstellen und
verfällt der Paranoia.
Daraus schlußfolgerte Wilson, daß Kommunikation nur unter Gleichen
möglich sei, was unter den Hackern zu einem populären Gedanken wurde.
„Wir machen das anders“, hieß es aus der Runde. „Unter Hackern, die
sich an den gleichen Systemen im gleichen Maße festgebissen haben, kann
es Gleichheit geben.“
„Nur die Hacker? Das ist zu eng gedacht“, beschied Wau freundlich.
„Wir laden sie alle ein zum Mitmachen“, schlug Steffen vor, der direkt
neben Wau saß und von allen im Club als aufgeregter Praktiker und
aktionistisches Organisationstalent gefürchtet wurde.
Zwischenruf aus der Runde: „Laßt uns die Daten befreien!“
Mit einem ketzerischen Augenaufschlag wieder Wau: „Frage: Wem gehören
unsere Daten?“
Der Ansatz war einprägsam, radikal und unerfüllbar: Alle Information
soll frei sein - die Verheißung freien Datenaustauschs inmitten eines
globalen Atomkonfliktes in Stand-by-Modus, inmitten einer gespaltenen
Gesellschaft, die sich selbst verdaute. Der CCC auf der Seite derer,
die nicht im Besitz der Information und der Rechenzeit waren und
Anspruch darauf erhoben. Forderungen nach “Umverteilung!” schwangen
mit, und die klangen im linksalternativen Milieu Hamburg-Eimsbüttels,
in dessen Nachbarschaft sich die Hacker zusammenfanden, immer auch ein
bißchen nach “Enteignung!”, zumindest in den Ohren der ORDNUNG.
Wie immer bestrebt, Waus Grundsätzlichkeiten in Greifbares umzusetzen,
wiederholte Steffen: „Wir laden sie alle ein. Wer sich vernetzt, ist
dabei, ganz einfach.“
Wau verfiel in einen prophetischen, warnenden Tonfall: „Auch die
Herrschenden müssen das lernen. Snafu heißt, monopolisierte Information
ist selbstzerstörerisch. Vorausschauendes Management: Wenn sie nicht
untergehen wollen, müssen sich die Konzerne umbauen.“
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