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Fresse in die Kamera: Die erste Maxi-Auskopplung aus "Weichkern-AufSchnitt. Die endgültige Versöhnung von einfach allem mit einfach allem"

Tracklisting: 

1. Fresse in die Kamera. (Buchversion)
2. Fresse in die Kamera. Partisanenkrieg-gegen-die Aliens-Mix.
3.Der Cut-Up-Cut-Up. Der AufSchnitt-AufSchnitt.
4. Fotze in die Webcam. Von Textreiter Plattenfänger.
5. Die fehlenden 400000 Jahre. Consolidated Dub.
6. Dub klappt. Interview mit dem Friedrichstädter Einkaufsboten (Bolschewiki)
7. Mein Versuch, die Fresse in die Kamera zu kriegen. Von Oona Leganovic.
8. Funkhaus-Livemix. Featuring Ungi.
9. Okay-TV.
10. Die vier spanischen Thesen. Dub der guten Hoffnung.
11. CU. Von Katja Springer.
12. Was heißt "Dingsbums" auf japanisch? Von Michael Kulla.
13. Mail No.23. Beyond the Ameisenhaufen. Modernisiertes Zitat von Robert A. Heinlein.
14. Fresse in die Kamera. The Real Eve. Das Ende der Vorgeschichte.
15. Der Wanderprediger. Partyeremit Dub.

hier die ersten Kapitel zum Reinlesen:
 

Hier die ganze Maxi bestellen

 

Was bisher geschah: Im ersten Buch "Fresses Schrödinger" geht die Welt fast unter, weil die herrschende Weltanschauung ein physikalisches Phänomen nicht versteht, das in einem Paralleluniversum auf einer realutopischen Insel namens Llom Catooca bereits fruchtbar ausgenutzt wird.

Im zweiten, "Eine perfekte Fresse mit Pickeln", geht die Welt dann wirklich unter, aber nur dieser Spielstand, den wir gerade kennen, weil die negativen Karmariesen es mit ihren Machtspielchen und erfundenen Seuchen übertreiben und ein Haufen Partypeople mit der Evolution Kontakt aufnimmt.

Im dritten Band, "Eins auf die Fresse", wird anhand von sieben "Lebenslügen der Zivilisation" lehrbuchartig erklärt, warum der Wurm in der Welt ist und warum es so verdammt knifflig ist, ihn wieder herauszubekommen. Ob die Welt untergehen wird, ist ungewiß, mer weeß es ehmd ägol ni so rischtsch.

"Weichkern-AufSchnitt", das Buch, in dem wir uns bereits befinden, beginnt furios mit Hip Hop. Der Mot erweist sich als positiver Held Nummer eins, als sein Fortkommen auf dem Weg der Erkenntnis geschildert wird. Das macht es nötig, in seine Vergangenheit zu blicken, vor allem ab jenem Tag, an dem er begann, sich in die Erde zu graben, weil er die Nase voll davon gehabt hatte, seinen Robotermitmenschen ihre Roboterhaftigkeit vor Augen zu führen, wirkliche AUFMERKSAMKEIT zu bekommen.

An diesem Tag wurde außerdem versucht, Gott wissenschaftlich nachzuweisen und den Klassenkampf mit Hilfe einer Big-Brother-Show zu illustrieren.

Wir lernen Colette kennen, die cool einen Superlutscher abblitzen läßt, und erfahren, daß sie nach dem wahren SCHMERZ sucht. Marek hingegen hat eine Odyssee durch verschiedenste Jugendsubkulturen hinter sich und beschließt, daß die Wurzel all der rivalisierenden Glaubenssysteme und politischen Anschauungen letztlich der Verstand sei. Er macht sich daran, ihn zu verlieren, richtigen WAHNSINN zu erreichen, auch wenn er zunächst das etwas unausgereifte Mittel des Headbangens gegen eine Mauer zur Anwendung bringt.

Unterdessen erhebt sich eine verstandesfeindliche Massenbewegung in Ostdeutschland und die Selbstkreationstheorie wird von unseren Fernsehmoderatoren Bob und Troy vorgestellt. Mit Sissy betritt die vierte große Leidenschaft unsere Geschichte. Diese ungewöhnliche junge Dame, die es bisher traumwandlerisch geschafft hat, die Worthülsen von sexueller Befreiung und Gegenkultur mit Leben zu füllen, begibt sich in die graue Welt des ALLTAGS, um dessen Wirkungen auf ihren Organismus zu beobachten: Typ, Job, Auto, Handy.

Wir lernen weitere Geschichtsauffassungen kennen, die Überwindung des Körpers durch Spiritualität oder durch Virtualität, die lange Geschichte des Dr. Reich und die Voodoophilosophie des Weltenkreuzes; damit haben wir insgesamt sieben Bewerber um den Rang der plausibelsten Historie, wobei uns die letzte in den unvorteilhaften Rang von Versuchskaninchen pandimensionaler Wesen bugsiert.

Unterdessen kulminiert alles im Finale der A-Seite des Buches, als die handelnden Figuren sich samt und sonders radikalisieren und ihre Anstrengungen intensivieren: Marek will konsequenter gegen seinen Verstand vorgehen, Sissy sich noch tiefer im Alltag verlieren, Colette legt sich Scherben in die Schuhe, die Band des Mot beleidigt ihr Publikum.

Herzlich willkommen auf der B-Seite beim Kapitel:

FRESSE IN DIE KAMERA.

(BUCHVERSION)

Oder sind wir noch weniger als Spielfiguren, sind wir eine gezüchtete Rasse von Arbeitssklaven, wie es unsere Startnummer 8, Zacharia Sitchin, mit illustrer Beweislast unterstellt?

Woher auch immer sie kamen, ob von einem später explodierten zwölften Planeten oder von außerhalb unseres Sonnensystems, eine Ladung Außerirdische entdeckte auf der Erde vor etwa 30000 Jahren Goldvorkommen.

Nun brauchten sie das Gold offenbar aus viel dringenderen als unseren heutigen fetischistischen Gründen, konnten aber entweder in der Erdatmosphäre nicht arbeiten oder waren sich zu fein dazu. Gut möglich, daß es auch einfach ihre übliche Herangehensweise war, sich wie hier eine Arbeiterschaft genetisch zu mixen.

Die komplexesten manuellen Fertigkeiten wurden mit den komplexesten Neuralnetzen verbunden, also wahrscheinlich Affen mit Delphinen; eine Zwitterrasse entstand, unfähig sich fortzupflanzen, abhängig von der Wartung und den Aufträgen der "Nefilim", so nennt sie die alte mesopotamische Überlieferung.

Die Unfähigkeit zur Fortpflanzung galt den Arbeitgebern wohl als ethische Rechtfertigung für die Ausbeutung der Zuchtmenschen. Als einer von ihnen ("Adam") nämlich bei einem Ehrentrip in die Heimat ("Das Himmelreich sehen") ein Elixier, eine Droge mitgehen ließ, die ihn fruchtbar machte und er gleich daran ging, Elixier und kopulative Zuneigung mit einer Menschenfrau zu teilen, zogen die Außerirdischen sauer ab, weil ihnen möglicherweise eine Art Erste Direktive nun die Einmischung in irdische Angelegenheiten untersagte.

Die Menschen waren zwar nun frei, aber die Nefilim hatten auch ihre Technologie, vor allem ihre Landwirtschaft und Verwaltung, den Garten Eden, wieder mitgenommen. So folgte für die Aufmüpfigen eine bittere Phase des Niedergangs, ihr Prometheus hatte ihnen zwar ein bißchen Feuer gebracht, aber Gerichtsbarkeit, Alphabet, Tonleiter, Bewässerung, astronomische Kenntnisse, Bier und Haschisch waren ihnen genommen.

Lange Zeit erholte sich die Menschheit nicht von ihrer Befreiung. Es wurden verzweifelte Kriege um die Reste des verlorenen Wissens geführt, trotzdem hatte jede Hochkultur der nächsten Jahrtausende weniger kulturelle Fülle und weniger Nahrungsmittel als die vorhergehende: Sumer, Babylon, Ägypten. Es dauerte möglicherweise wirklich bis ins Mittelalter, als erst die Renaissance der alten Ideen und dann eine eigene, neuartige Wissenschaft und Naturphilosophie einen erneuten und selbstgemachten Aufschwung ermöglichten.

Vielleicht reden die Götter dann auch irgendwann wieder mit uns. Vielleicht reden die anderen Welten dann auch irgendwann wieder mit uns. Sitchin war nun kein Hippie. Stellen wir uns vor, daß Adam gar nicht die Fortpflanzungsfähigkeit mitbrachte, die der Zwitterrasse die Reparaturanlagen und Brutmaschinen ersparte. Nehmen wir an, er hat Kontrazeptiva mitgebracht. Dann war folgenlose, unbeschwerte Lust wirklich der Sündenfall, für den wir von den Göttern verstoßen wurden. Was ist das auch für eine Arbeitsrasse, die Spaß am Sex hat? So wie die Götter selbst: "Er ist geworden wie wir." Ihre Erste Direktive könnte lauten: Kulturen mit freier Lust sind unantastbar.

Ihre Zweite allerdings: Solange sie zu blöd sind, sollten wir besser überhaupt nicht mit ihnen kommunizieren.

Die enorme Baggerschaufel schlug wieder und wieder in die Muttererde, die mit filmreifem Dröhnen nachgab, Der Mot schob mit energischen Drehbewegungen den Weg frei und ließ die Metallpranke wieder niedersausen. Es war eine gewisse Verbissenheit in die Art eingeflossen, mit der er zu ignorieren versuchte, daß er hier totalen Quatsch machte. Die wachsende Gräberlaune ging einher mit schmachvollen und bitteren bewegten Bildern, die in aller Pracht und Breite auf sämtlichen Kanälen seines Hirns wiederholt wurden.

Vor einer Ewigkeit hatten VSQ Vorbilder gehabt. Aus einer Explosion der Langeweile war in kulturellen Randzonen der modernen Welt immer mal wieder eine Platte entstanden, die zwar noch nicht ausgereift schien, aber in beherzter Weise stilistische Grenzen niedergerissen hatte.

In ungläubiger Verehrung hatte Der Mot zum Beispiel dem brachialen Industrial-Hip-Hop auf "Friendly Fascism" gelauscht, den die kalifornische Politband Consolidated aus entlegenen und völlig widersprüchlichen Klangwelten zusammengeschraubt hatte. Knarzen und Klirren auf treibendem Dröhnen und Grummeln. Samples von ihren Live-Auftritten, sowas wie Podiumsdiskussionen mit Slamdancing. Mahnende Stimmen, flammende Aufrufe, beklemmende Vergleiche, fiese College-Rock-Parodien, fette Jazz-Bassläufe. WER KONNTE DAZU SCHON VIELLEICHT SAGEN?

Dazu schon noch, dat jink, die gezogenen Kreise waren noch sehr eng. Aber Consolidated selbst hatten irgendwann begonnen zu murksen. In dem Moment, in dem sie es hätten durchziehen müssen, gab es plötzlich berechenbaren EBM-Rock, der nebenbei auf MTV laufen konnte. Die barocke Sexaufklärung mutierte zu politisch oberkorrekter Anti-Pornographie-Propaganda, der Kampfgeist verschlammte zu Überlebens-Parolen, die Songs wurden austauschbar. Dat jink schon.

Dann der finnische Totalcrossover von Waltari. Hier hatte zunächst auch alles überhaupt nicht und völlig zusammengepaßt: Lappland-Folklore, Deathmetal, Funkrock-Crossover, 80er-Jahre-Pop, Rap, Techno. "So Fine!" war hier die Platte vorher gewesen, aus der es hätte hervorgehen können. Tat es aber nicht. Pop-Videos, Festival-Auftritte und die dazu passenden Soundtracks hatten die fast folgerichtige nächste Stufe gebildet. FRESSE IN DIE KAMERA. Wieder nichts.

Immer und immer wieder. Hoffnungsvolle Bands verschwanden einfach oder wurden Teil der Radiobeschallung. Es wurde immer unmöglicher, auf diese Musik als Einfluß zu verweisen, denn in dem Moment, wo die Anregungen aufgegriffen werden konnten, wo es die Platten zu kaufen gab, wo es Interviews zu lesen gab, hatte die wundersame Verwandlung stattgefunden und der Link führte geradewegs in das Mainstream-Universum und nicht mehr heraus. FRESSE IN DIE KAMERA.

Erst hatte sich Der Mot mit "seiner" Band im Rücken und im globalen Verbund mit den kulturellen Vorbildern in einer Front sehen können, die von der Langeweile zusammengeschweißt worden war.

Nachdem immer mehr vermeintliche Verbündete abgesprungen waren und es allmählich peinlich geworden war, sie mal gut gefunden zu haben, stellte sich Der Mot vor noch nicht allzu langer Zeit die Frage, ob außer ihm wirklich jemand diesen Anspruch gehabt hatte, Löcher in die Welt zu reißen

ob nicht bloß zufällig ein paar Versprengte mit allen Mitteln versucht hatten, auf sich aufmerksam zu machen

ob es letztlich überhaupt machbar erscheinen konnte, eine Ausdrucksform zu finden, die nicht sofort und zwangsläufig korrumpiert werden würde

ob VSQ nicht ähnlich funktionierte

Oh. Böser Gedanke. Böse Folgen: Der Mot begann, es abzuklopfen. Diese Typen, deren Motivation, in so einem publikumsfeindlichen Avantgarde-Haufen mitzuspielen, nie ganz durchsichtig gewesen war - Musik machten sie ja, virtuos, durchgeknallt, die Linie brechend. Aber die Ideen lieferte ausschließlich er himself, oder nicht?

Mit vorhersehbarem Ausgang stellte er seine Band auf die Probe. Er schlug durchaus noch coole lupenreine Country-Gigs vor, wie sie die Amerikaner von Ween vorgemacht hatten. Er schlug ein lupenreines Popkonzert vor, bei dem sie frische, flinke Songs mit angesagten Beats im 3-Minuten-Takt abfeuerten, keine merkliche Dissonanz, kein Zuschauer-Diss und DIE FRESSE IN DIE KAMERA.

Es war ihr Hitparadengang. Allenthalben wurde gelobt, daß sie ja auch richtig Musik machen könnten (=daß es ja umsatzträchtig sein könnte bzw. daß es ja nicht mehr kratzte und verstörte). Die Gigs "davor" galten nunmehr als cool, aber als (hoffentlich) abgeschlossene Reifungsperiode.

Die Band hatte sich gegen die Verchartung nicht eine Sekunde gesträubt. Sie hatten ein paar Standard-Floskeln von sich gegeben, mit denen sie sich gegen einen Ausverkauf verwahrten, der weder das Problem war, noch hätte jetzt noch verhindert werden können. FRESSE IN DIE KAMERA.

Seine Musikerkollegen hatten ihn nicht einmal gefragt, warum er den musikalischen Kurs so abrupt gewechselt hatte. Sie hatten nicht zugeben wollen, daß sie es gar nicht mitentschieden hatten und sie wollten ihn auch nicht wieder von dieser Idee abbringen, ihre FRESSEN nicht von der KAMERA entfernen.

Und nun, hm, tja, das hatte er schon immer machen wollen. Das war die Ausgangsposition: Eine als endlich erwachsen geltende Band, die massiv verkauft, gehört und gesehen wird, liefert ein lang angekündigtes Album ab, das sie alle hören müßten, von dem jede Zeile und jede Note seziert werden würde - was für eine Gelegenheit, ihnen einen solchen Brecher zu kredenzen, ihnen vornerum und hintenrum das gesamte bekannte Universum hineinzuhelfen.

Es ist gut, es an dem Bagger und der Erde auszulassen, gerade jetzt gibt es richtigen Widerstand in der Wand, kein Mensch würde das ertragen. Sie haben zu allem vielleicht und mal sehn sagen können, sie haben ihre FRESSE IN DER KAMERA sehen wollen oder die Fresse von jemandem, den sie cool finden. Sie alle hatten sich "Matrix" einfach nur so reingepfiffen und keinem war dabei aufgegangen, daß er gemeint war, daß jeder der Befreier sein kann, daß Rage against the machine ihn im Abspann anbrüllten, endlich aufzuwachen. Beim Abspann zieht man sich aber schon an und überlegt, wann die Bahn kommt, weil man morgen früh raus muß. Das alles ist doch nur zur Unterhaltung gedacht, was kann ich dafür, wenn ihr daraus ein Drama macht.

Die Baggerschaufel kämpfte mit der Erde, weiter und weiter ging es im Zickzack abwärts, sich verlierend in den Eingeweiden der Erdkruste, bis Der Mot irgendwann aufgab und sich zum Sterben bettete.

Die Baggerschaufel schlug durch die Wand aus Erde und traf ins Leere. Als sie aufsetzte, gab sie den Blick auf einen Hohlraum frei. Einen Hohlraum mit strahlend hellem Tageslicht. Wolken am blauen Himmel bestaunte Der Mot: Hatte er irgendwann wieder nach oben gebaggert? Er hatte wohl manchmal die Richtung gewechselt, um Steine zu umgehen und hin und wieder war ihm aufgefallen, daß er seine Tunnel so sehr verschraubt hatte, daß er davon überrascht war, wo plötzlich unten war.

Da war keine Weltautobahn gewesen, die er passiert hätte, es hatte keine Geheimgänge gegeben: Der Mot hockte sich neben seinem Ausstiegsloch hin und machte den Propangaskocher an: Woran erkenne ich, daß ich wieder auf der Oberfläche bin? Er dachte: Gut, ich habe noch nie einen knallroten Strauch gesehen, an dem blaue Blätter wachsen, aber wo bin ich schon gewesen?

Enthält Samples aus "Kintopp" vom Album "Irrenhaus" von Keimzeit und aus der Bibel.


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